Am beeindruckendsten an der heutigen Tour waren ein paar Minuten der Stille. Wir waren auf dem Rückweg nach einmaligen Begegnungen mit zwei großen Schulen von knapp 100 verspielten Kurzschnauzen Gewöhnlichen Delfinen (Delphinus delphis) als die Fahrt verlangsamt wurde und wir schließlich anhielten – keine Stimmen oder Verkehrsgeräusche, kein klingelndes Handy, kein Klicken einer Kamera. Wir waren draußen auf dem Ozean. Nur ein paar Gelbschnabelsturmtaucher (Calonectris borealis) in leichten Diskussionen und kleine Wellen, die sanft ans Boot stießen. Wir alle suchten intensiv die umliegende Oberfläche ab als plötzlich ein paar blass braune Walrücken mit kleinen Finnen in einiger Entfernung vor unserem Bug auftauchten. Sie bewegten sich auf uns zu: eine Schule der seltenen Blainville Schnabelwale (Mesolplodon densirostris) kreuzen unseren Weg.
Unser Kapitän hatte uns in eine gute Position manövriert. Ohne eigene Bewegung erwarteten wir die Entscheidung der Tiere entweder näher zu kommen oder einfach weiter zu ziehen. Wir hatten Glück und sahen sechs oder sieben Adulte und ein Kalb nur wenige Meter von unserer Backbordseite an die Oberfläche kommen. Das neugierige Jungtier drehte bei, um unser Boot noch näher zu begutachten bevor ein eindrucksvolles Männchen auftauchte. Wie bei allen anderen der Schnabelwale durchbrach die breite und langgezogene Schnauze zuerst die Oberfläche, doch jetzt konnten wir sogar zwei spitze aus dem hinteren Teil des Unterkiefers aufragende Zähne erkennen. Dies ist ein charakteristisches Merkmal der Geschlechtsunterscheidung bei Schnabelwalen. Nur männliche Tiere besitzen diese Stoßzähne, die als effektive Waffen im Kampf gegen Rivalen eingesetzt werden. Das Exemplar vor uns zeigte auch die typischen Narben entlang der Flanken, welche vom innerartlichen Kräftemessen stammen. Mit Längen von bis zu sechs Metern bei etwa einer Tonne Gewicht werden die männlichen Haremsführer auch etwas größer als weibliche Tiere.
Es ist nicht viel über diese extrem seltene Tiefseeart bekannt. Während langer Tauchgänge, die bis zu einer Stunde dauern können, erreichen Blainville Schnabelwale Tiefen von mehr als 1000 m. Sie jagen kleine Fische und Kalmare in deren Tiefseehabitaten. Nach langen Tauchphasen erholen sich die Tiere an der Oberfläche oder knapp darunter. Interessant ist der Fakt ihrer extrem dichten Knochenstruktur, welche kompakter ist als Elfenbein. Was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass diese Tiere ebenfalls die Stille genießen. Und mehr noch, sie sind sogar von ihr abhängig. Zu viele Hintergrundgeräusche stören ihre Kommunikation, was zu Desorientierung führt. Sehr starker Unterwasserschall kann tödliche Verletzungen verursachen.
Lärmverschmutzung der Meere stellt eine große Bedrohung für Blainville Schnabelwale dar, aber unsere Ozeane werden zunehmend lauter. Schiffsverkehr, Baumaßnahmen im Küsten- oder offenen Meeresbereich wie auch militärische Aktivitäten sind nur ein paar der Gründe. Die Lautstärke in den Ozeanen muss reguliert und reduziert werden, um Wale und Delfine zu schützen und ihnen den Genuss von etwas zu ermöglichen, was wir alle schätzen: Momente der Stille.
von Jan-Christopher Fischer
Sichtungen des Tages
Ribeira Brava
17:00 Blainville-Schnabelwale, Kurzschnauzen Gewöhnliche Delfine, Unechte Karettschildkröten