Pottwalstrandungen in der Nordsee
Immer wieder stranden junge Pottwal Männchen in der Nordsee. Diesen Winter besonders oft. Wie schon Ende 2015 wurden auch im Januar wieder verendete Tiere in der Nordsee gefunden. 16 alleine an der deutschen Küste. Weitere 6 Pottwale an der niederländischen sowie 5 an der englischen Nordseeküste.
Nun sind am 31. Januar erneut acht tote Pottwale vor der schleswig-holsteinischen Nordseeküste entdeckt worden. Laut Angaben des Landesbetriebs für Küstenschutz, Nationalpark und Meeresschutz (LKN) in Schleswig-Holstein waren auch diese Exemplare männliche Jungtiere (geschätztes Alter ca 10-15 Jahre). Wahrscheinlich gehören sie zum Azoren-Bestand dieser Art. Eventuell stammen sie auch aus den Gewässern um Madeira und den Kanaren.
Auf ihren Wanderrouten zwischen dem Nordpolarmeer und dem Meeresgebiet um die Inselgruppen der Azoren, Kanaren und Madeira ziehen die Meeressäuger mit dem großen, kantigen Kopf normalerweise recht zügig und zielgerichtet hin und her. Auf die weite Wanderung begeben sich nur männliche Tiere, hauptsächlich im Winterhalbjahr. Möglicherweise finden sie dort bessere Nahrungsbedingungen als in den wärmeren Breiten des Atlantiks. Ältere Pottwalbullen leben sogar ganzjährig solitär und vergesellschaften sich nur für kurze Zeit zur Fortpflanzung mit den Weibchen. Diese und ihre Kälber ziehen eher wenig umher und bleiben in der Regel in den warmen bis gemäßigten Breiten. Pottwale sind Tiefseejäger und tauchen bis zu 3000 m. Normalerweise halten sie sich in tieferen Meeresbereichen auf. Während ihrer Wanderungen fressen sie nicht oder nur sehr wenig.
Läuft bei den wandernden Pottwalbullen alles planmäßig, dann schwimmen sie auf ihrem Rückweg nach Süden in einem Tiefseegraben entlang der norwegischen Küste. Ihre Route führt sie an den Shetlandinseln und nordwestlich an Großbritannien vorbei. Die Tiere navigieren unterwegs mit Echoortung (Schall), orientieren sich an der Unterwassertopographie der jeweiligen Meeresgebiete und an Meeresströmungen. Eventuell merken sie sich auch markante Landmarken. Vielleicht hilft ihnen auch das natürliche Erd- Magnetfeld den richtigen Weg zu finden.
An was genau die Pottwalmännchen gestorben sind muss jetzt untersucht werden. Folgende Ursachen kommen in Frage:
A: die jungen Pottwalbullen waren noch unerfahren mit den Wanderrouten:
Eventuell sind sie zu spät und versehentlich falsch aus der tiefen Norwegischen Rinne abgebogen und haben sich dadurch in die Nordsee verirrt. Dieses flache Randmeer des Nord- Atlantiks ist durchschnittlich nur etwa 100 m tief. Zusätzliche Schwierigkeiten für die an größere Tiefen gewöhnten Wale kommen dann noch durch die Gezeiten dazu. Der Gezeitenstrom lässt das Wasser bei Ebbe im flachen Wattenmeer schnell ablaufen. Dann kann es passieren, dass die großen Meeressäuger „trocken fallen“ und zum Liegen kommen. Dabei geraten sie in Stress, evtl. macht ihr Stoffwechsel schlapp, und falls die Tiere auf ihre linke Körperseite fallen (dort sitzt ihr Blasloch) können sie sogar im flachen Wasser regelrecht ertrinken. Schon nach kurzer Zeit an Land werden sie durch ihr enormes Eigengewicht erdrückt.
B: zunehmende Verlärmung der Meere:
Die Welt der Meeressäuger besteht aus Tönen, sie navigieren mit Schall, jagen mit ihren Klicklauten und verständigen sich mittels Schallwellen unter einander über weite Distanzen. Unter Wasser sind inzwischen die Geräusche von Ölplattformen und Windkraftanlagen so laut und unerträglich, dass die Wale einen großen Bogen um diese Lärmquellen machen und dabei eventuell von ihren angestammten Wanderrouten abweichen. Laute Unterwassergeräusche beeinträchtigen zudem die Kommunikation der Tiere untereinander, versetzen sie in Panik und verursachen bleibende Schäden am Gehör der Wale.
Die Nordsee ist schon lange zu einer Art Hochsee Industrie-Park geworden. Stark befahren von Containerschiffen, Öl-Tankern, Fähren und Fisch-Trawlern. Dazu kommen eine wachsende Anzahl von Ölplattformen und Windparks. All dieser Unterwasserlärm kann die Orientierung der Tiere durcheinander bringen. So findet man nicht selten bei gestrandeten Walen geschädigte Innenohre.
C: Schwankungen des Erd-Magnetfeldes:
Wissenschaftler vermuten, dass auch die natürlichen Veränderungen im Erd-Magnetfeld den Orientierungssinn der Wale beeinträchtigen können.
Die im deutschen Wattenmeer gestorbenen Wale werden zerlegt und tierärztlich untersucht. Keine Überraschung wird es sein, wenn die Fachleute wie üblich sehr hohe Quecksilber und andere angereicherte Schwermetalle sowie Plastikteile im Körper der Tiere finden.
Gefahr für die aktuellen Bestände der Pottwale gibt es durch die verendeten Wale wohl eher nicht. Nach vielen Jahren der starken Bejagung, in denen auch auf den Azoren und Madeira tausende Pottwale abgeschlachtet wurden, haben sich inzwischen die Zahlen der Tiere langsam erholt. Heutige Bestandsschätzung der Pottwale liegen bei rund 300 000 Individuen, immer noch weit weniger als die ursprünglichen Bestandszahlen vor der industriellen Jagd auf Großwale.
Text von Astrid Haas
Fotos von Rebecca Störmer (www.jordsand.de)