Die Natur überrascht unseren einfachen Menschenverstand immer wieder. So geschehen als vor einigen Jahren klar wurde, dass Grönlandwale (Balaenoptera mysticetus) uralt werden können. An die 200 Jahre erreichen diese Bartenwale, die im Nordpolarmeer heimisch sind. Vorausgesetzt, sie werden nicht bei der Jagd getötet oder sterben durch andere vom Menschen verursachte Schäden. Experten schauten sich vor zwei Jahren den genetischen Code der Wal-Methusalems genau an. Auch um besser verstehen zu können, wie die Meeressäuger es schaffen bis ins hohe Alter gesund zu bleiben und beispielsweise nicht an Krebs zu erkranken. An solchen Ergebnissen sind weltweit Pharmaunternehmen höchst interessiert, auch hinsichtlich der Entwicklung von Medikamenten gegen altersbedingte Krankheiten wie Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Bereits in den Neunzigerjahren gab es einen wichtigen Hinweis auf die außergewöhnliche Lebenserwartung der Grönlandwale. Nämlich als der Wildtierbiologie Craig George im Rahmen eines Forschungsprogramms für die Internationale Walfangkommission (IWC) mehrere tote Wale genauer unter die Lupe nahm. Diese waren von den Ureinwohnern Alaskas und Kanadas während der jährlich stattfindenden Jagden getötet worden. Bei seinen Untersuchungen fand George überraschenderweise Steinharpunen, die im Fleisch mehrerer erlegten Wale eingewachsen waren. Allerdings wurden solche Harpunen bereits seit 1860 in der Arktis kaum mehr verwendet. Dies legte den Schluss nahe, dass die getöteten Wale mehr als hundert Jahre alt gewesen sein mussten.
Auch andere Meeressäugerarten wie beispielsweise Pott- und Schwertwale erreichen ebenfalls ein stolzes Alter. Weibliche Pottwale leben 80-100 Jahre. Pottwal-Experte Dr. Hal Whitehead nennt diese alten Weibchen „sage“ (Weise, sinngemäß kluge Weibchen). Diese sehr lebenserfahrenen Waldamen lehren ihren Nachkommen wie sie ihre Jungen aufziehen und zeigen ihnen gute Fressgründe. Auch Orca-Weibchen erreichen ein ähnliches Alter. Obwohl ihre Fortpflanzungsfähigkeit bereits mit ca. 45 Jahren endet, sind es gerade die älteren und damit die erfahrenen Orca-Weibchen, die eine Herde anführen. Laut Walforscher fungieren sie dadurch wie ein lebendes Gedächtnis. Als Wissensspeicher und Vorbild spielen sie eine entscheidende Rolle für das Überleben der ganzen Herde.
Ein anderes marines Wirbeltier, allerdings kein Säugetier, wird sogar noch älter. Wenn die Berechnungen richtig sind, können Eishaie (Somniosus microcephalus) ganze 400 Jahre alt werden. Die bis zu 5 m großen Knorpelfische bewegen sich sehr langsam und leben nicht tiefer als 100 m. Wegen seiner Langsamkeit wird diese Haiart auch „Sleeper Shark“ genannt.
Dieser Altersrekord wird zum jetzigen Zeitpunkt nur durch die Islandmuschel (Arctica islandica) übertroffen. 2006 hatten britische Meeresbiologen bei Untersuchungen über Klimaveränderungen im Nordmeer (Arktis) zufällig das vermutlich älteste Tier der Welt entdeckt: eine 507 Jahre alte Islandmuschel. Bei diesem Weichtier ermöglichen es die Wachstumsringe der Kalkschalen – ähnlich wie bei einem Baumstamm – das ungefähre Alter eines Tieres zu bestimmen. Nach dem sensationellen Fund wurde das hohe Alter des Tieres mit weiteren Methoden bestätigt.
Ihre Astrid Haas