Die Vulkaninsel Madeira ist bekannt für ihre einzigartige und dramatische Landschaft mit steilabfallenden Felsküsten. Von dort oben gibt es herrliche Aussichten auf die Küste und den tiefblauen Atlantik. Überall auf Madeira findet man sogenannte Miradoros, Aussichtspunkte. Aber auch von anderen prägnanten Stellen, wie beispielsweise am Casa das Mudas (Südwestküste) oder ganz einfach am Rande eines Bananenhains hat man eine gute Sicht in die Ferne.
Dort oben kennt sich insbesondere Carlos Drumond, hauptamtlicher Späher der Firma Lobosonda Whale Watching gut aus. Sein Arbeitsplatz in etwa 500 m Höhe liegt westlich der Encumeda Schlucht und umfasst den Küstenstrich von Ponta do Sol bis Paul do Mar und an manchen Tagen gar bis zum Leuchtturm Ponta da Pargo, am Ende der Südwestküste.
Carlos ist maßgeblich am Erfolg der Whale-Watching Touren beteiligt. Täglich sitzt er mitunter stundenlang in brütender Hitze und meistens ganz alleine auf seinem Landbeobachtungsposten. Die Ausrüstung besteht aus hochauflösenden Ferngläsern, teilweise auf Stativen montiert, einem Mobiltelefon und ein Paar scharfen Adleraugen, denen so schnell nichts entgeht.
In früheren Zeiten, als auf Madeira noch Walfang betrieben wurde, standen an strategischen Plätzen entlang der Küste sogenannte Vigias, die Späherhäuschen. Das waren fest installierte Beobachtungsposten, von denen aus Ausschau gehalten wurde nach Walen. Sobald der Späher die Blaswolken der Wale sichtete, feuerte er eine Rakete ab und hängte Fahnen auf. Sobald der Späher seine Rakete abgeschossen hatte, stürmten unten im kleinen Hafen die Boote aus der Bucht hinaus Richtung offenes Meer, um den gesichteten Wal zu töten. In Canical, wo der Walfang in den vierziger Jahren begann, stehen noch heute in luftiger Höhe über dem Dorf die Ruinen einer Vigia. Im Walmuseum (Canical) ist der Arbeitsplatz eines Vigias dargestellt.
An vielen Tagen ist es eine wahre Herausforderung im bewegten Meer kleine Rückenfinnen zu sichten. Carlos beherrscht diese Kunst aufs Höchste. Bis 6-7 Seemeilen und zum Teil noch weiter kann er noch Meeressäuger erkennen. Hilfreich sind dabei oft auch die Gelbschnabel-sturmtaucher. Meeresvögel, die -wenn sie am fressen sind- aufgeregt auf und ab fliegen und über den Leckerbissen beispielsweise kleinen Fischen oder Tintenfischen kreisen. Dort wo die Vögel am fressen sind, sind oftmals auch Delfine und Wale zu finden.
Carlos kennt sich zudem mit den Verhaltensweisen der einzelnen Meeressäugerarten gut aus. Er identifiziert und sieht, ob es sich um die vorsichtig auftauchenden Schnabelwale handelt, oder eher um die oftmals aktiven und sprungfreudigen Atlantischen Fleckendelfine und Gemeinen Delfine. Wenn er eine Wasserfontäne, den Ausatem eines Wales sieht, unterscheidet er zwischen Pottwale und Tropischer Wale Blas. Dieses Detailwissen zu haben ist enorm wichtig um die Charaktereigenschaften, die verschiedenen Lebensweisen, Verhaltensweisen und auch die Art der Nahrungsaufnahme der einzelnen Tierarten zu erkennen. Große Wale hinterlassen beim Ausflug in die Tiefe einen Abtauchfleck, eine Art Fußabdruck auf der Meeresoberfläche. So kann der Späher sehen, in welche Richtung der Wal zieht.
Als waschechter Madeirenser, kennt Carlos den Küstenverlauf in seinem Revier wie seine Westentasche. Er leitet die Lobosonda Skipper exakt mit Meilenangaben und Landmarken zu den Plätzen auf dem Meer, wo die Boote mitsamt den Gästen die Meeressäuger beobachten können.
An vielen Tagen geht das teilweise recht zügig und der Späher entdeckt die Tiere schnell. An anderen Tagen, vor allem wenn es etwas dunstig oder das Meer aufgewühlt ist, ist die Sicht aufs Meer eingeschränkt. Dann braucht es Geduld und Beharrlichkeit. Wichtig ist es vor allem an langen Tagen auch die körperlichen Ressourcen, hauptsächlich die der Augen gut einzuteilen und immer mal Pausen zu machen. Das starke Sonnenlicht und das Heranzoomen auf die spiegelnde Meeresoberfläche sind anstrengend für die Sehorgane.
von Astrid Haas